Frankreich 1794: Der Terror der Jakobiner erreicht seinen Höhepunkt. Die Guillotine regiert den revolutionären Staat. Überall werden Massengräber ausgehoben und der Gestank von Leichen und Verwesung hängt über ganz Paris und seinem Umland. De Sade (Daniel Auteuil), der "göttliche Marquis", ist dank der Fürsprache seiner Geliebten Marie-Constance Quesnet (Marianne Denicourt) aus dem überfüllten Gefängnis Saint-Lazare in das ehemalige Kloster und Sanatorium Picpus gebracht worden. Dort können sich die gefangenen Adligen noch einer Illusion von Sicherheit und Luxus hingeben. Zwar wartet auch auf sie die Guillotine, doch in den Gärten von Picpus kann man ihren Schatten übersehen. Benoit Jacquots Sade bricht mit sämtlichen Traditionen in der filmischen Darstellung des berüchtigten Marquis. In allen früheren Annäherungen an den Schriftsteller und Philosophen, den Atheisten und Provokateur war der Mensch nicht von seinen Schriften zu trennen. Der Marquis wurde zum Inbild des Sadismus und trug daher meist dämonische Züge -- oder aber er verkam zu einer lächerlichen Gestalt, deren Perversionen nur noch absurd erscheinen. Dagegen zeichnen Daniel Auteuil und Benoit Jacquot das Porträt eines charmanten Verführers und freigeistigen Menschenfreundes. Sade in Picpus, das ist ein Mensch, der die Gewaltherrschaft der Jakobiner verachtet. Um die anderen Gefangenen von ihrem Schicksal abzulenken, inszeniert er ein Theaterstück, und seine größte Sorge gilt der 16-jährigen Emilie (Isild Le Besco). Ihr widmet er all seine Verführungskünste, nicht um sie zu besitzen, sondern um ihr die Schönheit des Lebens und der Leidenschaft zu lehren. Sade ist keine klassische Filmbiografie, sondern eher ein Zeitgemälde. Der Marquis wird zum Gegenpol des revolutionären Schreckens. Nicht er ist der Sadist, das sind die Jakobiner um Robespierre. Anders als der Revolutionär, der mit Marie-Constance zusammenlebt, hat Sade einer Frau nie etwas angetan, was sie nicht wollte. Das amoralische Spiel der Leidenschaften, das Sade in seinen Werken beschreibt, basiert eben nicht auf Gewalt und Herrschaft, es setzt vielmehr absolute Freiheit voraus, eine Freiheit, die mit der Revolution hätte kommen können, die aber von Fanatikern in Blut erstickt worden ist. Sade verkörpert für Jacquot die Chance, die Frankreich 1789 hatte und die 1794 endgültig verschenkt wurde. Wenn das Mädchen Emilie schließlich am Ende ihrer Zeit mit dem Marquis als Frau erwacht, triumphiert für einen Moment das Leben über den Tod, die Freiheit über den Terror. --Sascha Westphal |